Vor kurzem kam eine neue Kundin für ein Cover-Up Tattoo ins Studio. Sie hatte einen Freund im Schlepptau. Ich dachte, sie wäre etwas nervös wegen ihres Termins und brachte deswegen den Freund zur moralischen Unterstützung mit. In Wirklichkeit war der Freund aber nur mitgekommen, um die Situation heroisch zu kontrollieren.
Für die blank liegenden Nerven meiner Kundin war wohl eher die Art des Tattoos, und nicht die Angst vor dem tätowieren an sich verantwortlich. Es ging um ein Cover-Up Tattoo. Cover-Ups sind immer psychisch belastend für die Kunden, da sie sich Sorgen machen, einen noch größeren Fehler zu begehen. Fast immer ist bei einem Cover-Up Tattoo eine Vergrößerung des ursprünglichen Tattoos notwendig um ihren Zweck zu erfüllen. In der Regel sind Cover-Ups zwei bis drei mal so groß wie die Tätowierung, die abgedeckt werden muss. Für mich als Tätowierer ist es die Aufgabe mein möglichstes zu tun, um die alte Tätowierung verschwinden zu lassen. Viele Kunden fühlen sich aber beim Gedanken daran, ein noch größeres Tattoo über ein ungeliebtes stechen zu lassen, als würden sie versuchen ein Feuer mit Benzin zu löschen.
Das Vertrauen der Kunden wird meist durch eine negative Haltung zu ihrem alten, unerwünschten Tattoo beeinflusst.
In diesem speziellen Fall, sollte ich ein 90er Jahre Bandlogo mit etwas weiblicherem, ein paar Blüten und etwas filigranem Drumherum abdecken. Das Cover-Up-Design benötigt einen gewissen Spielraum, um effektiv zu wirken. Die bestehende Tätowierung war schwarz und so positioniert, dass sie sich schön abdecken lassen würde. Aus einem ca. 15cm großen Tattoo sollte ein ca. 35cm großes Cover-Up entstehen. Ich überlegte mir eine Strategie, um mit Schattierungen, Linien und Farbe die alte Tätowierung verschwinden zu lassen. Das neue Tattoo sollte mit dem Körper fließen und somit ein echter Hingucker werden. Die Voraussetzung hierfür war allerdings, dass mir die Kundin etwas Freiheit in der Wahl der Größe einräumt.
Der Freund der Kundin begann mein Gespräch mit ihr, mit seinen Bedenken über die Größe des Tattoos zu unterbrechen. Ich versuchte das Gespräch mit der Kundin zu führen, während ich darauf achtete, dem Freund nicht das Gefühl zu geben, seine Meinung wäre unwichtig. Es war ein Drahtseilakt.
An dem Punkt, an dem ich die Kundin überzeugt hatte das Tattoo wie zuvor besprochen umzusetzen, zog ihr Freund meine Kundin aus dem Raum. Sie überzeugte sie, sich nicht tätowieren zu lassen.
Nach mehreren Stunden Gestaltung und sorgfältiger Aufklärung über das Tattoo mit der Kundin wurde der Termin abgebrochen. Ihr Freund hatte beschlossen, die Situation unter seine Kontrolle zu bringen und zu behaupten, die Tätowierung sei „zu groß für sie“.
Ich bin nicht enttäuscht, weil ich dieses Tattoo nicht gestochen habe. Ich wünsche wirklich nur das allerbeste für meine Kunden und respektiere all ihre Entscheidungen, wenn sie von ihnen selbst kommen. Diese Situation ist allerdings ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie die Meinungen Außenstehender den Tätowierungsprozess fast immer kontraproduktiv beeinflussen.
Manchmal ist es der eifersüchtige Freund, der dich mit Argusaugen beobachtet, während du seiner Freundin ein Tattoo in der Bikinizone machst und manchmal ist es die gelangweilte „beste Freundin“, die pflichtbewusst darauf wartet bis die dreistündige Sitzung zu Ende ist, während sie seufzend und genervt auf ihrem Smartphone tippt. Man kann meistens davon ausgehen, dass eine dritte Person im Zimmer den Arbeitsprozess negativ beeinflusst.
Das gillt übrigens nicht nur für ein Cover-Up Tattoo!
In der Regel tut es mir leid für den Freund, der stundenlang daneben sitzen muss, da beim tätowieren zuzusehen genauso aufregend ist wie bei einer Prophylaxebehandlung beim Zahnarzt in der ersten Reihe zu sitzen.
Der Aufbau von Vertrauen mit meinen Kunden ist ein entscheidender Punkt. Mit einem psychischen Vampir im Raum, der an der Empathie saugt, die zwischen dem Künstler und dem Kunden aufgebaut werden sollte, ist die optimalste Tattoosession zum scheitern verurteilt.
Ein alter Tätowierer-Freund sagte einmal: „Tätowieren ist kein Zuschauersport“. Ich habe wirklich nichts dagegen, wenn ihr jemand zu eurem Tattootermin mitbringt. Ihr solltet euch nur darüber im Klaren sein, dass ausschließlich der Dialog zwischen euch und eurem Tätowierer ausschlaggebend für eine gute Tattoo-Entscheidung ist.
Euer Tom und das ganze Team